Vom Hochaltar ist kaum noch etwas zu sehen. Tonnenschwere Kulissen haben den Blick darauf verstellt: haushohe Bühnengestelle mit Landschaftsmalereien. Bilder sind es, die an Christi Leiden erinnern, an seine Gefangennahme und seinen Prozess, den beschwerlichen Weg zur Hinrichtungsstätte und schließlich den Tod am Kreuz.
Inmitten der Szenerie liegt Jesus im dunklen Grab. Ein nackter Jüngling, um die Hüfte ein Tuch. Rechts und links halten Engel Wache. Oben strahlt eine Monstranz, kündet von der Auferstehung Christi. Hundert Öl- und Wachslichter umrahmen das Gesamtbild – bunte, glänzende Kugeln. Irgendwie erinnert Tirol zu Ostern an Weihnachten.
Heilige Gräber heißen die Inszenierungen, die sich vor dem Fest in zahllosen Gotteshäusern finden, in kleinsten Kapellen wie in großen Kirchen. Schwerstarbeit bedeutet das für all die freiwilligen Helfer, die zum Ende der Fastenzeit die gewaltigen Kulissen aus dem Fundus holen: bunt bemalte Holzgerüste, hoch wie Häuser manchmal, aber auch mannsgroße Engel, Soldaten und andere Figuren, die zur Illustration der Osterliturgie dienen.
Mancherorts wie im Osttiroler Städtchen Lienz werden die Heiligen Gräber während der Kar- und Osterzeit gleich mehrmals umgebaut, wechseln die Bilder mit der biblischen Botschaft des Tages. Immer wieder verboten und vom Zeitgeist lange Jahre unbeachtet, haben die Heiligen Gräber in den vergangenen Jahren neuen Zulauf gefunden.
Die Grabeskirche vor der Haustür
„Sie brachten Jesus an einen Ort namens Golgota, das heißt übersetzt: Schädelhöhe“, erzählt das Markusevangelium von den letzten Stunden im irdischen Leben Jesu. „Dann kreuzigten sie ihn.“ Nach seinem Tod ließ Joseph von Arimathäa Jesus in ein Leinentuch wickeln und in ein Felsengrab legen. Jenes Grab fanden am Morgen des dritten Tages die Frauen leer vor, als sie den Leichnam salben wollten.
Schon in der Antike errichtete man an der Stelle, wo die ersten Christen dieses Ereignis verorteten, eine Kirche. Weil sich die meisten Gläubigen eine Reise zur Grabeskirche in Jerusalem nicht leisten konnten, baute man das Heilige Grab vor der Haustür nach. So rühmten sich Fulda und Konstanz schon im frühen Mittelalter ihrer Heiligen Gräber. In Tirol fand die Idee vor allem Anklang, als die Spätgotik die Passion in den Mittelpunkt der Volksfrömmigkeit gerückt hatte.
Liturgie des Schauens
Im Barock schließlich wurden die Tiroler Jesuiten zum wichtigsten Förderer der Heilig-Grab-Idee. Nachdem für große Oster- und Passionsspiele kein Platz mehr war, verfolgten sie eine Liturgie des Schauens, deren Mittelpunkt der Leichnam Christi und der Wiederauferstandene bildeten. Farbig leuchtende Kugeln, mit denen man das Grab umstellte, ließen die Osterfreude schon während der Grabesruhe aufscheinen.